Doppel-Wumms für Musikbegeisterte

Gleich zwei Streicherquartette setzen Maßstäbe im Herdorfer Hüttenhaus

Ganz ohne den Einsatz von Pyrotechnik zündete das Frankfurter Aris Quartett in Begleitung des Kandinsky-Quartetts ein wahrhaftes Feuerwerk. Unterschiedliche Spielstile, die in Erstaunen versetzten und junge Musiker*innen, die sich mit einer Hingabe und immensen Qualität in ihrer Musik vertieften, ließen alle Zuhörer*innen voll auf ihre Kosten kommen. Werke von Haydn, Schulhoff und Mendelssohn boten ein abwechslungsreiches Abendprogramm.

Zuschauer*innen etwaiger Kultursendungen in Funk- und Fernsehen, aufmerksame Leser*innen des Feuilletons oder aber der jüngsten Konzertankündigung der Kulturfreude Herdorf wussten bereits, dass zum Auftakt der neuen Spielzeit ein ganz besonderer auditorischer Leckerbissen zu Gast im Hellerstädtchen war. Mit dem Aris Quartett konnte in Zusammenarbeit mit Villa Musica eines der besten deutschen Streichquartette für einen Auftritt gewonnen werden. In den letzten Jahren konnte die Truppe bereits für reichlich Furore sorgen – zuletzt etwa mit einem Auftritt in der Sendung "New Generation Artists Presents" der Londoner BBC.

Doch bevor sie sich selbst ans Werk machten, überließen sie den nicht minder talentierten Musiker*innen Hannah Kandinsky (Violine I), Evgenii Artemenkov (Violone II), Ignazio Alayza (Viola) und Antonia Gervilla (Violoncello) die Bühne. Zum Start in einen atemberaubenden Konzertabend bot das junge Ensemble Joseph Haydns Streichquartett D-Dur, op. 20 Nr.4 dar. Selbst in Wien ansässig, brachten sie somit ein eher selten gespieltes Stück der Wiener Klassik mit ins Hüttenhaus. Zur Heiterkeit des Kopfsatzes kontrastierten die Variationen des zweiten Satzes durch ihr ernstes d-moll-Thema. Menuett und Finale zeichneten sich durch deutliche Folkloreelemente aus, mit rustikaler Bauern- und ungarischer Volksmusik. Die jungen Musiker*innen vermochten es die Vielfalt an Themen, technisch wie emotional, gänzlich zu absorbieren. Dies hatte eine in jeglicher Hinsicht erstklassige Interpretation zur Folge, die wiederum in einem Hochgenuss für das Publikum mündete.

Während einer kurzen Pause wurden drei der vier Sitzgelegenheiten für die Musiker*innen entfernt. Anschließend betrat das Aris Quartett die Bühne, wobei einzig Lukas Sieber mit seinem Violoncello Platz nahm, während Anna-Katharina Wildermuth (Violine I), Noémie Zipperling (Violine II) und Caspar Vinzens (Viola) im Stehen spielen sollten. Die Notwendigkeit dieser Maßnahme verdeutlichte sich sogleich während der ersten Tönen von Erwin Schulhoffs Fünf Stücke für Streichquartett. Der Darbietung wohnte eine Körperlichkeit inne, die schlichtweg ein erhebliches Maß an räumlicher Freiheit erforderlich machte. In einer begeisternden Vortragsweise schmissen sich die Musiker*innen regelrecht in die Töne hinein. Das Publikum wurde unweigerlich und unmittelbar mitgerissen, was angesichts des aufgeführten Stückes nicht unbedingt selbstverständlich war. Schließlich stellte die Komposition Erwin Schulhoffs aus dem Jahre 1923 ein erhebliches Kontrastprogramm zu den anheimelnden Tönen Haydns dar.

Zu Lebzeiten wurden die Werke des Pragers Schulhoff ambivalent aufgenommen. Während die Leichtigkeit und der stilistische Facettenreichtum seines Œuvres von der Fachwelt tendenziell verkannt wurde, erkannten es große Geister seiner Epoche, wie etwa Thomas Mann, rückhaltlos an. Aus heutiger Sicht sind die teils harschen Urteile seiner Zeitgenossen jedenfalls kaum mehr nachvollziehbar, handelte es sich doch um eine freche Musik am Puls der Zeit der goldenen Zwanziger-Jahre. Das Arrangement zeichnet sich durch eine prägnante Kürze der Sätze, eine suitenhafte Reihung und aphoristische Behandlung des Materials aus. Während die beiden Allegro-Sätze Nr. 1 und 3 motorisch von fast französischer Delikatesse sind, bettet Schulhoff im zweiten Satz einen ironischen Seitenhieb auf die Wiener-Walzer Sentimentalität ein. Anschließend folgt eine verhinderte Serenade und im Finale ein volksmusikalisch inspiriertes Denkmal an die böhmische Heimat des Komponisten. Dem Aris Quartett, dessen Interpretation von einem immensen Füllhorn unterschiedlicher und aufsehenerregender Spielstile geprägt war, schien dieses Stück geradezu auf den Leib geschneidert zu sein.

Als Schlussakt stand mit Felix Mendelsohns Oktett Es-Dur, op. 20 von 1825 eines der großen Meisterwerke der Kammermusik auf dem Programm. So ideal wie sich diese Musikform für die Akustik des Hüttenhauses eignet, so souverän fanden sich auch die Musiker*innen in ihrem Spiel als Oktett zusammen. Bereits der erste Satz bestach durch das Spiel mit Klangfarben und Registern, ebenso durch die Gruppierung der Streicherpaare. Die beiden Streicherquartette wurden oft doppelchörig gegeneinandergestellt. Einem hinreisend harmonischen Andante folgte Mendelsohns Scherzo, worin sich eine Hommage an die Walpurgisnacht-Szene aus Goethes Faust verbirgt. Der beschwingten atmosphärischen Ausgestaltung war diese Analogie deutlich anzumerken. Das anschließende kraftvolle Finale begann mit tiefen Streichertönen, die sich nachfolgend behände in die Höhe steigern, wobei die kontrapunktischen Möglichkeiten vollständig ausgeschöpft wurden.

Die ganze Bandbreite dieses absolut bewundernswerten Stückes des Berliner Kompositionsgenies wurde von der unverkennbaren Raffinesse und imponierenden Ausdrucksstärke der jungen Musiker*innen mit einem besonders feinen Gespür perfekt in Szene gesetzt. Die Standing-Ovations waren die logische Konsequenz eines rundherum perfekten Konzertabends und eine gänzlich verdiente Würdigung vor der Leistung aller Darbietenden.