… denn sie wissen genau, was sie tun
Thomas Riebl und Stipendiat*innen der Villa-Musica begeistern mit
Kammermusik der Extraklasse
Am Ende ertönte frenetischer Applaus und das Publikum wollte die Musiker*innen am liebsten gar nicht mehr von der Bühne lassen. Doch nach einer kurzen Zugabe und letzten Verbeugung war Schluss. Das Hochfahren der Beleuchtung im gut besuchten Konzertsaal des Herdorfer Hüttenhauses holte auch die letzten gefesselten Zuhörer*innen zurück ins Hier und Jetzt. Ein packender Konzertabend ging zu Ende.
Aber der Reihe nach.
Herdorf. Dass hochdekorierte und -talentierte Interpretinnen sich in der Herdorfer Kulturstätte die Ehre geben, ist nichts ungewöhnliches. Schon gar nicht, dass die Musikerinnen ihre eigenen Instrumente mitbringen. Wenn aber jemand, so wie der österreichische Bratschist Thomas Riebl, eine Tenorviola dabei hat, die es so eigentlich gar nicht mehr geben sollte, hat das schon etwas geheimnisvolles.
Doch bevor Riebl das Mysterium um das Instrument lüften, und dieses als Solist zum Einsatz bringen sollte, leitete eine hinreißende Darbietung von Alessandro Rollas Duett c-Moll für Violine und Viola Op. 4 Nr.2 den Konzertabend ein. Neben Riebl selbst stand mit Lora Markova eine begnadete Violinistin auf der Bühne. Gemeinsam mit dem Professor des Salzburger Mozarteums vollführte sie eine stimmungsreiche Konversation der beiden Streichinstrumente. Einem ruhigen, getragenen Einstieg des Adagios folgte übergangslos ein unerbittliches, ja atemloses Allegro im Stile Beethovens. In fingerbrecherischer Manier bot das Duo eine temperamentvolle Interpretation dar und demonstrierte eindrucksvoll ihre Virtuosität. Begeisterung bereits nach dem ersten Stück.
Und dann kam die besondere, weil fünfsaitige, Tenorviola zum Einsatz. Riebl hielt sie mit Stolz in den Händen. Nicht von ungefähr, schließlich hat er sie eigens mit dem Geigenbaumeister Bernd Hiller entwickelt. Ähnliches gab es in der Musikgeschichte selten, zuletzt vor einigen Jahrhunderten. Als Ahnen lassen sich etwa der Arpeggione oder die Viola pomposa bezeichnen – beides etwas eigentümliche Mischwesen, irgendwo zwischen Cello, Laute und Bratsche angesiedelt. Wie man weiß, konnten sie sich nicht nachhaltig durchsetzen. Doch Riebl erläuterte, er sei jahrelang regelrecht frustriert darüber gewesen, dass sich manche Stücke mit einer gewöhnlichen Bratsche einfach nicht spielen ließen. Und so ließ er sich von der zusätzlichen Saite und einer alternativen Tonfolge dieser Vorfahren inspirieren, um derSache endlich mal gerecht werden zu können. Und das tat er, und wie er das tat.
Bachs Suite g-Moll, BWV 995 (Lautenfassung der 5. Cellosuite von R. Leopold) stand auf dem Programm. Als Solist die Vollstimmigkeit einer Orchester-Ouvertüre entstehen lassen zu wollen, ist ein Unterfangen, an dem man auch problemlos scheitern kann. Riebel tat das Gegenteil. Meisterhaft durchlief er die vielfachen Wendungen des Stückes. Ob die feierlich langsame Einleitung mit ihren langen Läufen, dissonanten Akkorden und punktierten Rhythmen im französischen Stil oder die tänzerische Befreiung der darauffolgenden Fuge – Riebl bildete die gesamte Klangfülle der Komposition souverän ab.
Zum Abschluss vor der Pause folgte Mendelsohns Capriccio und Scherzo aus Opus 81, wobei sich Markova nun mit den übrigen Stipendiatinnen auf die Bühne begab. Gemeinsam mit Luis María Suárez Felipe (Violine I), Hiroki Kasai (Viola) und Carlo Lay (Violoncello) erwärmten auch sie das Publikum. In ihren jeweiligen Stimmungen recht ambivalent kamen die beiden Teile des Stückes daher. Während das Capriccio sanft wog, immer lebhafter wurde und sich in ein mächtiges Unisono steigerte, wirkte das anschließende Scherzo ziemlich konträr. Kein Wunder, schließlich verarbeitete der Komponist hierin den plötzlichen Tod seiner Schwester. Doch ob heiter oder tiefbetrübt, die Musikerinnen wurden jeder Stimmung bestens gerecht.
Nach der Pause bot das gesamte Ensemble Brahms Streichquintett Nr. 2 G-Dur, op. 111 dar. Dessen Entstehungsgeschichte ist insofern interessant, als Brahms eigentlich den Entschluss gefasst hatte, sich mit diesem Stück zur Ruhe setzen zu wollen. Und so ist es teilweise elegisch geprägt, aber auch als eine Art Revue seiner Epoche angelegt. Es finden sich darin allerlei Verneigungen vor den Großen Meistern des 19. Jahrhunderts. Beethoven, Schubert, Wagner oder Strauß ließen grüßen. Das hochdynamische, wechselseitige Zusammenspiel der Interpret*innen war ein hinreißender Ohrenschmaus. Gleich zu Beginn bereiteten Violinen und Bratschen mittels wogender Terzen eine Art Vorhang, durch den ein faszinierendes Cellosolo trat. Carlo Lay klomm dabei aus der tiefsten Lage seines Instruments bis in die höchsten Höhen empor. Die gesamte Interpretation des Quintetts war raffiniert inszeniert und jederzeit getragen von einer abwechslungsreichen Kommunikation. Mit unzähligen Ebenen verschachtelter Konversationen im Instrumentenspiel berauschte das Ensemble sein Publikum. Es saß jeder Ton, jede noch so kleine Nuance, bis in den allerletzten Winkel des facettenreichen Stücks. Kammermusik in Reinform und ein rundherum kurzweiliges Vergnügen.
Bilder: Peter Marcel Schneider